4.2.1 Erkenntnistheorie
Der Erkenntnistheorie widmet Locke sein Hauptwerk, die „Abhandlung über den menschlichen Verstand“ (1689). Dieses gilt als
Meilenstein des modernen Empirismus. Es befasst sich mit einer Kernfrage der Aufklärung: Gibt es eine Erkenntnis, ohne dass
der Mensch vorher mit der Aussenwelt in Kontakt tritt? Die Rationalisten, wie z.B. Descartes, Spinoza oder Leibniz, hatten
behauptet, dass eine Erkenntnis aus reinem Denken möglich sei. Der Mensch ist also nicht auf Erfahrungen angewiesen, um Erkenntnisse
über die Welt und ihren logischen Aufbau zu haben. Descartes sieht z.B. die Existenz Gottes als eine „angeborene Idee“ an
(Descartes 1992, S. III. und V.). Die Empiristen lehnen demgegenüber ein erfahrungsunabhängiges Wissen ab. Der menschliche Verstand ist zunächst eine „tabula
rasa“. Erst durch (sinnliche) Erfahrungen kommt Erkenntnis zustande.
Die „Abhandlung“ ist in vier Teile untergliedert: Im ersten Buch geht es Locke um die Zurückweisung der rationalistischen
These über angeborene Ideen, das zweite Buch handelt von den Ideen als Gegenstand der Erkenntnis, das dritte Buch enthält
eine sprachphilosophische Abhandlung und das vierte Buch eine Theorie des Wissens.
Locke ist – neben David Hume (1711–1776) und George Berkeley (1685–1753) – ein prominenter Vertreter des neuzeitlichen Empirismus.
Hilfreich ist es, zwischen einem „genetischen“ und einem „wahrheitstheoretischen“ Empirismus zu unterscheiden (zu dieser Unterscheidung
s. (Specht 2007, S. 39 ff.)). Mit „genetischem“ Empirismus verbindet sich die Behauptung, dass die Ideen aus der Erfahrung stammen. Er bezieht sich also auf die Herkunft der Ideen. Der „wahrheitstheoretische“ Empirismus meint demgegenüber die Behauptung,
dass die Wahrheit von Aussagen anhand der Erfahrung zu überprüfen ist. Bei Locke finden sich Belege für beide Behauptungen.
Der "genetische" Empirismusaspekt wird etwa hier deutlich:
Der Ursprung der Ideen (idea; Vorstellung) ist die Erfahrung. Es gibt für Locke keine angeborenen Ideen, weder in Bezug auf die theoretische Erkenntnis noch auf die Moral (vgl. Essay I, ch. 3, 65 ff.). Für Locke ist das evident: So verfügten z.B. nicht alle Völker über eine Gottesvorstellung. Beim Erfahrungswissen unterscheidet Locke wie folgt: Es gibt einerseits Wissen, das den Sinneserfahrungen entspringt:
Der „genetische“ Empirismus bezieht also einen Sensualismus mit ein. Allerdings geht Locke über einen reinen Sensualismus hinaus. Wissen geht nicht nur auf äussere Erfahrung (Wahrnehmung äusserer Objekte; sensation) zurück, sondern auch auf die innere Erfahrung (reflection):
Sensation und reflection sind also für Locke die Quellen der Ideen und damit des Wissens überhaupt. Durch die Vorgänge der sensation und der reflection kommen „einfache Ideen“ zustande. Als Beispiel für eine einfache Idee nennt Locke die Idee der Festigkeit, die man durch Berührung und Widerstand eines Körpers erfahre (Essay II, ch. 4, 122 ff.). Einfache Ideen hängen von der Ausstattung des Menschen mit Sinnesorganen ab; der Verstand verhält sich hier rezeptiv-passiv, er empfängt Eindrücke (Essay II, ch. 12, 163). Der Verstand kann sich aber auch aktiv zu den einfachen Ideen verhalten und das vorhandenen Ideenmaterial durch die ihm eigene Operation des Denkens in neue, „komplexe Ideen“ umschaffen. Die komplexen Ideen entstehen also durch denkende Umarbeitung der einfachen Ideen. Diese Umarbeitung der einfachen in komplexe Ideen erfolgt in dreierlei Weise:
Aus einfachen werden also komplexe Ideen mit Hilfe der aktiven Verstandestätigkeit. Die Arten der Verstandestätigkeit unterscheidet
Locke in Verbindung, Relation und Abstraktion. Die so entstehenden „komplexen“ Ideen unterteilt Locke in Modi, Substanzen
und Relationen (Essay II, ch. 12, 164). „Modi“ sind für Locke komplexe Ideen, die nicht für sich allein bestehen, sondern
von Substanzen abhängig sind (z.B. die Schönheit von etwas). „Substanzen“ werden bestimmt als Ideen, die bestimmte, für sich
selbst bestehende Einzeldinge repräsentieren, wie z.B. den Menschen (vgl. Essay II, ch. 23, 295 ff.). In der Formulierung
„represent“ drückt sich aus, dass die Substanzen von Locke als Allgemeinbegriffe nicht als existierend gedacht werden. Locke
ist – wie Hobbes – Nominalist, für den die Allgemeinbegriffe nur in der Sprache, nicht aber in der Wirklichkeit existieren. Schliesslich nennt Locke „Relationen“
als komplexe Idee. Gemeint sind Beziehungen der einfachen Ideen untereinander, wie z.B. Ursache und Wirkung (vgl. Essay II,
ch. 26, 324 ff.).
Nachdem Locke im zweiten Buch in den Ideen den Gegenstand der Erkenntnis beschrieben hat, geht es ihm im vierten Buch der
„Abhandlung“ um eine Theorie des Wissens. Unsere Ideen sind Gegenstand und Begrenzung unseres Wissens:
Was also ist Erkenntnis? Darauf kann der Nominalist Locke nur folgende Antwort geben:
Hier findet sich auch der „wahrheitstheoretische“ Aspekt des Empirismus, d.h. die Vereinbarkeit einer Aussage mit Erfahrungswissen als Wahrheitskriterium:
Locke gibt für die Gewissheit der Existenz äusserer Dinge ein interessantes Beispiel:
Frage 14: Gehen Sie auf die Begriffe „Empirismus“, „Sensualismus“ und „Nominalismus“ ein und beziehen Sie sich in Ihrer Antwort auch auf die Erkenntnistheorie John Lockes!
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Frage 15: Nennen Sie mindestens zwei Einwände gegen den klassischen Empirismus!
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