14.2.2 Situation in der Schweiz

In der Schweiz wird die Religionsfreiheit in Art. 15 der Bundesverfassung gewährt. Dort heisst es:

1 Die Glaubens- und Gewissensfreiheit ist gewährleistet.
2 Jede Person hat das Recht, ihre Religion und ihre weltanschauliche Überzeugung frei zu wählen und allein oder in Gemeinschaft mit anderen zu bekennen.
3 Jede Person hat das Recht, einer Religionsgemeinschaft beizutreten oder anzugehören und religiösem Unterricht zu folgen.
4 Niemand darf gezwungen werden, einer Religionsgemeinschaft beizutreten oder anzugehören, eine religiöse Handlung vorzunehmen oder religiösem Unterricht zu folgen.

Die Normierung des Verhältnisses des Staates zu den Religionsgemeinschaften ist gemäss Art. 72 Abs. 1 BV grundsätzlich Sache der Kantone. Der dritte Absatz des Artikels wurde im November 2009 durch die Annahme der sog. „Minarettinitiative“ hinzugefügt. Ob er dauerhaft Bestand haben wird, ist allerdings angesichts der Befassung des EGMR mit der Frage, ob die Norm gegen die in der EMRK niedergelegte Religionsfreiheit verstösst, äusserst fraglich:

Art. 72 BV Kirche und Staat
1Für die Regelung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat sind die Kantone zuständig.
2 Bund und Kantone können im Rahmen ihrer Zuständigkeit Massnahmen treffen zur Wahrung des öffentlichen Friedens zwischen den Angehörigen der verschiedenen Religionsgemeinschaften.
3 Der Bau von Minaretten ist verboten.

Im Kanton Zürich erfolgt die Anerkennung dreier christlicher Kirchen sowie zweier jüdischer Religionsgemeinschaften gemäss den Art. 130 und 131 der Zürcher Kantonsverfassung:

Art. 130 KV ZHKirchliche Körperschaften
1 Der Kanton anerkennt als selbstständige Körperschaften des öffentlichen Rechts:
a. die evangelisch-reformierte Landeskirche und ihre Kirchgemeinden; b. die römisch-katholische Körperschaft und ihre Kirchgemeinden;
c. die christkatholische Kirchgemeinde.
2 Die evangelisch-reformierte Landeskirche, die römisch-katholische Körperschaft und die christkatholische Kirchgemeinde sind im Rahmen des kantonalen Rechts autonom. Sie regeln:
a. das Stimm- und Wahlrecht in ihren eigenen Angelegenheiten nach rechtsstaatlichen und demokratischen Grundsätzen in einem Erlass, welcher dem obligatorischen Referendum untersteht;
b. die Zuständigkeit für die Neubildung, den Zusammenschluss und die Auflösung von Kirchgemeinden.
3 Das Gesetz regelt:
a. die Grundzüge der Organisation der kirchlichen Körperschaften;
b. die Befugnis zur Erhebung von Steuern;
c. die staatlichen Leistungen;
d. die Zuständigkeit und das Verfahren für die Wahl der Pfarrerinnen und Pfarrer sowie deren Amtsdauer.
4 Es kann vorsehen, dass ein Teil der Steuererträge einer negativen Zweckbindung unterstellt wird.
5 Der Kanton hat die Oberaufsicht über die kirchlichen Körperschaften.

Art. 131 KV ZH
Weitere Religionsgemeinschaften
1 Von den weiteren Religionsgemeinschaften sind die Israelitische Cultusgemeinde und die Jüdische Liberale Gemeinde vom Kanton anerkannt.
2 Diese ordnen die Mitwirkung ihrer Mitglieder nach rechtsstaatlichen und demokratischen Grundsätzen.
3 Das Gesetz regelt unter Wahrung der verfassungsrechtlichen Autonomie der Religionsgemeinschaften:
a. die Wirkungen der Anerkennung;
b. die Aufsicht.

Die Verfassung der Republik und des Kantons Genf dagegen sieht eine klare Trennung von Kirche und Staat vor:

Art. 164 KV Genf
Liberté des cultes
1 La liberté des cultes est garantie.
2 L’Etat et les communes ne salarient ni ne subventionnent aucun culte.
3 Nul ne peut être tenu de contribuer par l’impôt aux dépenses d’un culte.

Besondere Aufmerksamkeit erregten in der schweizerischen Rechsprechung zur Religionsfreiheit in den vergangenen zwei Jahrzehnten insbesondere Fälle, welche eine Kollision von Pflichten innerhalb des Schulbetriebs mit muslimischen Glaubensvorschriften zum Gegenstand hatten. Folgende vier Entscheidungen wurden innerhalb der juristischen Disziplin, aber auch in der breiteren Öffentlichkeit, besonders intensiv diskutiert:

1993: BGE 119 Ia 178: Keine Pflicht für muslimisches Mädchen, am Schwimmunterricht teilzunehmen. 1997: BGE 123 I 296: Verbot des Tragens eines Kopftuchs durch Lehrerin während des Unterrichts. 2001: EGMR Dahlhab vs. Schweiz, Appl. Nr. 42393/98: Bestätigung der Rechsprechung des Bundesgerichts zum Kopftuchverbot. 2008: BGE 135 I 79: Ablehnung eines Gesuchs um Dispensierung muslimischer Jungen vom Schwimmunterricht für rechtmässig erklärt. Abweichung von der Entscheidung aus dem Jahr 1993. Für einen kurzen Überblick über die Geschichte der Religionsfreiheit in der Schweiz lohnt das Lesen des von Andreas Kley und Danièle Tosato-Rigo verfassten Eintrags „Religiöse Toleranz“ im Historischen Lexikon der Schweiz.

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