4.6.2 Wiedererwägung

Bei einem Wiedererwägungsgesuch kann die verfügende Behörde auf eine formell rechtskräftige, ursprünglich fehlerfreie Verfügung zurückkommen und eine an die veränderte Sach- oder Rechtslage angepasste neue Verfügung erlassen. Die Verwaltungsbehörden können jedoch Verfügungen, über welche Rechtsmittelentscheide ergangen sind, nicht in Wiedererwägung ziehen, da diese in materielle Rechtskraft erwachsen (BVerwG, Urteil A-6381/2009, E. 3.2 f.) [Weiterführendes]. Das Wiedererwägungsgesuch ist an keine Fristen gebunden. Gründe für die Wiedererwägung sind eine nachträgliche Änderung der Rechtslage oder des Sachverhalts. Ein Anspruch auf Wiedererwägung besteht laut Bundesgericht nur dann, „wenn die Umstände sich seit dem ersten Entscheid wesentlich geändert haben oder wenn der Gesuchsteller erhebliche Tatsachen und Beweismittel namhaft macht, die ihm im früheren Verfahren nicht bekannt waren oder die schon damals geltend zu machen für ihn rechtlich oder tatsächlich unmöglich war oder keine Veranlassung bestand“ (BGE 136 II 177 E. 2.1). Auch spezialgesetzlich kann ein Anspruch auf Wiedererwägung vorgesehen sein. In den beiden vorgenannten Fällen ist die Wiedererwägung ein ausserordentliches Rechtsmittel, ansonsten nur ein Rechtsbehelf. Ist eine Verfügung noch nicht rechtskräftig, ist stets das zulässige ordentliche Rechtsmittel zu ergreifen.

Wiedererwägungsgesuche können diejenigen Parteien einreichen, die zum Ergreifen eines Rechtsmittels im ursprünglichen Verfahren legitimiert waren. Nach Eingang eines Wiedererwägungsgesuches wird zuerst das Vorliegen von Rückkommensgründen geprüft. Wird die Behörde nicht von Amtes wegen sondern auf Gesuch hin tätig, trifft den Gesuchsteller die Behauptungslast, dass ein anerkannter Rückkommensgrund vorliegt. Es kommen folgende Rückkommensgründe in Frage:

  • Revisionsähnliche Gründe
  • Unrichtige Rechtsanwendung
  • Nachträgliche Änderung des Sachverhalts oder der Rechtslage
  • Spezialgesetzlich geregelte Rückkommens- oder Änderungsgründe (z.B. Art. 62 AuG)

Ein Rückkommensgrund kann wegfallen, wenn der Gesuchsteller die entsprechende Rüge in zumutbarer Weise im ordentlichen Beschwerdeverfahren hätte vorbringen können (BGE 103 Ib 87 E. 3).

Bei Bejahung eines hinreichenden Rückkommensgrundes wird die Verfügung materiell überprüft und damit ein neues Verwaltungsverfahren durchgeführt.

Der Wiedererwägungsentscheid unterliegt denselben Anfechtungsmöglichkeiten wie die ursprüngliche Verfügung. Auch ein Nichteintretensentscheid ist selbstverständlich anfechtbar.

Zu unterscheiden von der oben beschriebenen Wiedererwägung ist die Wiedererwägung in Art. 58 VwVG. Dieser Artikel regelt das Zurückkommen der erstinstanzlichen Behörde auf ihre Verfügung in einem Beschwerdeverfahren; die Verfügung ist also noch nicht rechtskräftig und die Behörde handelt aus eigener Initiative. Die Behörde kann so eigene Fehler korrigieren.